Das folgende Interview hat Sarah Engler am 17.5.2021 mit Stephan Tiersch von KD im Rahmen ihrer Master-Arbeit an der Hochschule der Medien, Stuttgart, geführt.
1. Gibt es in der B2B-Kommunikation Unterschiede zwischen den Branchen?
Innerhalb der B2B-Welt sind mir keine grundlegenden Unterschiede aufgefallen. Ich glaube, dass es weniger ein Unterschied der Branchen ist als ein Unterschied der Unternehmensgröße. Und dann hängt es natürlich ganz stark von dem Leistungsangebot des Unternehmens ab. Ob das jetzt branchenspezifisch ist, möchte ich aus meinem Erfahrungshintergrund erst einmal infrage stellen. Es geht ja eher darum: Biete ich ein klar umrissenes Produkt an oder biete ich eine komplexe Leistung an, die ein tiefes Verständnis voraussetzt? Es ist etwas anderes, ob ich Schrauben und Dübel verkaufe oder ob ich Befestigungstechnik verkaufe. Das ist ja keine Frage der Branche, sondern eher der Positionierung des Unternehmens und wie das Unternehmen sein Leistungsangebot definiert. Wenn ich mich als Unternehmen dafür entscheide, ein Lösungsanbieter zu sein, aus unternehmensstrategischen Gründen, und ich als solcher wahrgenommen werden möchte, dann muss ich natürlich ein stärkeres Kompetenzprofil im Hinblick auf aktuelle Lösungen darbieten. Das geht dann für diejenigen, die da Kommunikation machen, ganz schnell in die Tiefe und in das technische Know-how, sodass es dann nicht mehr ohne den Rat von Ingenieuren und Entwicklungstechnikern geht.
2. Gibt es Unterschiede zwischen B2B-Kommunikation für Produkte und der für Dienstleistungen? Wo liegen die jeweiligen Herausforderungen?
Wir haben in fast allen Märkten eine Tendenz dazu, das Leistungsangebot über das Produkt hinaus zu erweitern und um Dienstleistungen zu ergänzen, um sich als Lösungsanbieter zu positionieren. Diese Tendenz, also die Kombination eines Produkts mit einer Dienstleistung, die auf Customizing oder auf Beratung oder Instandhaltung usw. basiert, erhöht die Komplexität des Angebots. Deshalb ist die Kombination aus Produkt und Dienstleistung deutlich komplexer und schwieriger zu kommunizieren. Aber sie erhöht den USP. Sie ist schwieriger zu verstehen und anstrengender zu kommunizieren, denn du brauchst mehr Know-how, aber es macht die Positionierung eigentlich einfacher, weil du nicht der X-te bist, der über Schrauben redet. Deshalb macht man’s ja. Man sucht sich das Thema so und baut sich das Produkt auch so, dass du das Spezifische deines Angebots auch wirklich herausarbeiten kannst. Dadurch wird es auf der einen Seite mehr, schwieriger, tiefer, komplizierter, komplexer, aber auf der anderen Seite auch irgendwie klarer und auf einer anderen Ebene einfacher, weil du dann deine Marktdifferenzierung hast.
3. Wie gelingt es, sowohl Entscheider mit fundiertem technologischem Hintergrundwissen als auch mit eher oberflächlichem Wissen anzusprechen?
Die Frage ist ja: Ist Hintergrundwissen wirklich die einzige und die wichtigste Differenzierung? Wir unterscheiden in der Strategieerstellung zwischen verschiedenen strategischen Parametern: Zielstellung, Zielgruppe, Marke. Mit deiner Frage sind wir jetzt im Grunde bei der Zielgruppe. D. h., es geht eigentlich um die Ermittlung des Zielgruppenbedarfs. Also würde ich als Stratege fragen: Wie viele unterschiedliche Bedarfssituationen haben wir eigentlich im Markt, die wir sinnvoll adressieren können? Dann muss man sich den Markt angucken: Es gibt große und kleine, vielleicht noch dicke und dünne, manche im Süden oder im Norden. Manche haben viel Hintergrundwissen, manche wenig. Was immer die Unterscheidungskriterien sind, man muss fragen: Was davon ist relevant? Süden und Norden ist vermutlich nicht relevant, weiß man nicht, vielleicht gibt es in Bayern andere Gesetze als in Schleswig-Holstein … Welche Unterscheidungskriterien sind relevant? Das wichtigste Kriterium ist dann – in meinem fiktiven Beispiel – vielleicht die Größe. Die Größe determiniert also in entscheidendem Maße den Zielgruppenbedarf. Die Großen haben einen anderen Bedarf als die Kleinen. Wenn ich Personas zur Zielgruppenansprache erstellen würde, hieße das, ich hätte im Grunde zwei Personas, den Max Maximops und den Max Minimops. Dann müssen wir uns als Nächstes fragen: Sind das meine einzigen Personas? Wenn ja, kann ich mir überlegen: Wenn der Bedarf so unterschiedlich ist, dann ist es vielleicht sinnvoll, eine getrennte, bedarfsgerechte Ansprache für sie zu formulieren. Wenn der Bedarf gar nicht so unterschiedlich ist und sich vielleicht eine ähnliche Bedarfssituation einstellt, dann brauche ich auch keine unterschiedliche Zielgruppenansprache. Diese Logik gilt in dieser Form für alle Unterscheidungskriterien.
Gerade eben haben wir den Bedarf ja abhängig von Personas gemacht, ich kann diesen Bedarf aber auch in Abhängigkeit von unterschiedlichen Positionen auf einer Customer Journey definieren. Ich kann auch beides definieren, unterschiedliche Personas an unterschiedlichen Schritten in der Customer Journey. Denn unter Umständen ist die Bedarfssituation von Max Minimops identisch mit der Bedarfssituation von Max Maximops auf einer bestimmten Customer-Journey-Stufe. Du kommst ja von Pre-Awareness bis hin zu Retention. Mittendrin in ihrer Customer Journey haben die vielleicht sehr ähnliche Bedarfe. Der eine hat vielleicht schon mehr Voraussetzungen, bei dem anderen muss man die vielleicht erst schaffen, aber wenn er sie dann hat, ist es wieder gleich.
So muss man im Grunde über unterschiedliche Nutzeransprache nachdenken. Es gibt keine pauschale Antwort dazu, sondern nur methodische Ansätze, wie ich mit solchen Fragen umgehe.
Es ist gar nicht so einfach, für völlig unterschiedliche Gruppen den jeweils unterschiedlichen Content auszuspielen und überhaupt herzustellen. Daher wird man oft versuchen, möglichst viel Gemeinsames zu schaffen und nur herauszufinden, wo die Abweichung ist und wo man möglicherweise anders sein muss oder es doch schafft, gemeinsame Fragen zu adressieren. Wenn ich nach der Grundregel gehe und für jede Zielgruppe auf jeder Customer-Journey-Stufe nur bedarfsgerechten Content produziere, wird es schnell unübersichtlich.
4. Wie gelingt es Dienstleistern, Kunden von der eigenen Kompetenz und der Erfahrung zu überzeugen, unabhängig von deren Hintergrundwissen?
Es ist immer gut, wenn jemand eine Empfehlung hat und sagt: „Mit denen hab ich schon gearbeitet, die können das.“ Da fühlt man sich gut, dann spricht man noch einmal mit denen. Referenzen sind der Weg, den ich jetzt zumindest bei Agenturen am besten finde. Ich mag keine Pitchs, ich mag keine komischen Auswahlverfahren, in denen 20 Laien im Gremium vor dir sitzen und schauen, welche Folie am besten aussieht; das gibt es leider auch. Wir gewinnen auch Pitchs, so ist es nicht. Ich finde es aber besser, wenn Zusammenarbeit über ruhige und tiefgehende, persönliche Gespräche läuft, und nicht über eine inszenierte Wettbewerbssituation. Dadurch kommen die befriedigendsten Aufträge zustande, befriedigender als manche Aufträge durch Pitchs. Da entsteht das beste Vertrauen und das beste Gefühl dafür, ob man miteinander arbeiten kann.
5. Welche Rolle spielen Emotionen bei der Kommunikation? Und wie wichtig ist persönliche Kommunikation?
Es kommunizieren immer Menschen miteinander. Durch die Verbreitung der sozialen Medien und deren Stellenwert, der jetzt im B2B inzwischen von Facebook auf LinkedIn übergegangen ist, ist das alles ein bisschen menschlicher, persönlicher, individueller geworden. Es gibt z. B. CEO-Kommunikation, der Mensch soll erreichbar und erkennbar werden. Die Mitarbeiter sind aufgerufen, auch in den sozialen Medien als Botschafter aktiv zu sein …
Das ist auch alles schön und gut. Wir sind mittlerweile aber an einer Stelle, an der ich bei manchen Punkten gerne einen Schritt zurückgehen würde. Ein bisschen weniger tränendrüsig, ein bisschen weniger privat, ein bisschen weniger politisch polarisierend. Deshalb habe ich auch kein gutes Gefühl bei vielen Auswüchsen der Haltungskommunikation. Da bin ich mir nicht sicher, ob das in einem professionellen Zusammenhang wirklich der langfristig richtige Weg ist. Ich bin selber noch nicht an der Stelle, um das rationalisieren zu können. Das ist bisher ein Bauchgefühl, das ich so aber auch an Leute weitergebe, die mich dafür bezahlen. Ja, Purpose und Meaning sind Grundlage jeder Markenkommunikation. Wie stark ich das in den Vordergrund bringen muss als Dübelfabrikant, da bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich gewünscht ist und am Ende auf meine Ziele einzahlt. Ich will überhaupt nicht den Inhalt dessen, was da gesagt wird, bewerten. Gerade Sinn und Haltung sind etwas, das muss man mit sich selbst klar kriegen und es steht mir nicht zu, das für andere zu bewerten. Aber als Mechanik in der Kommunikation würde ich sagen: Denk zweimal darüber nach, mit wie viel persönlichen Botschaften, mit wie viel Sinn und wie viel übergeordnetem Purpose-Anspruch ihr an die Sache rangeht.
Wir verlängern doch eigentlich die Mechaniken der individuellen, persönlichen Kommunikation ins Netz. Wie möchtest du angesprochen werden, von jemandem, der an der Tür klingelt und „Guten Tag“ sagt? Wie willst du mit der Person reden, wie persönlich soll die sein? Es ist dir ja auch nicht angenehm, wenn sie dich vollschwätzt über ihren Urlaub, ihre Katze, darüber, was sie über Politik denkt oder über das Böse und Gute in der Welt – das willst du alles vielleicht gar nicht wissen. Du willst ein menschlich angenehmes Gespräch über Schrauben und Dübel führen. Du unterhältst dich natürlich lieber mit einem netten Menschen als mit einem unsympathischen, aber so genau willst du es gar nicht wissen. So ist das in der persönlichen Kommunikation. Und in den Online-Medien ist es eigentlich genauso.
6. Gibt es etwas, über das wir bisher noch nicht gesprochen haben, das aber essenziell für eine erfolgreiche und verständliche B2B-Kommunikation für Dienstleistungen ist?
Es ist eine Binse, wenn ich sage: Das A und O und der Schlüssel ist der Bedarf des Kunden. Du musst den Nerv des Kunden treffen. Das weiß heute jeder.
Was manchmal hinten runterfällt, ist die Marke. Man darf ruhig überlegen: Wer sind wir eigentlich und als wer sprechen wir? Was ist unsere Marke, unser Markenkern? Start-ups und Kleinunternehmen sind oft besonders vertriebsgetrieben, die brauchen schnellen Verkauf und gucken auf Performance. Oft investieren sie nicht so stark in Markenaufbau. Dann schaffen sie es und das Unternehmen besteht länger und die ersten drei bis fünf Jahre Markenarbeit haben sie dann verschlafen. Plötzlich merken sie: „Es wäre cool, wenn die Leute wüssten, für was unsere Marke steht, damit wir mit der Marke arbeiten können.“ Wenn man etwas größer ist und mehr Möglichkeiten hat, bieten sich oft gute Optionen, um die Marke einzusetzen. Deshalb sollte man sich frühzeitig darüber Gedanken machen, für was diese Marke steht. Da gehört dann übrigens Purpose rein.